Text von Hanna Gagel
Rede zur Vernissage der Ausstellung am 25. Juli 2020 im Künstler*innenhaus Heuerberg Braunwald / Glarus
Die Serie von 33 Blättern mit dem Titel « MARE E MONTAGNE » ist das Ergebnis einer Arbeitszeit hier im Haus Heuerberg. Christine Bänninger erzählte mir, wie sie den Entstehungsprozess inszenierte und erlebte.
Es sollte nahe am Leben sein, ohne Absicht, gerade wie es kommt – aus der Lust heraus und beruhigend. Sie arbeitet mit dem Zufall, ohne Kopfzerbrechen. Sie wusste nur «ich wollte etwas mit der Landschaft anstellen.»
Das kleine Format ergibt sich aus dem Format des Algen-Verpackungspapier, das sie verwendet. Fliessend sollte es sein, fliessend, wie das Wasser indem die Algen leben. Sie malt nicht Landschaften, auch wenn der Eindruck entstehen kann, wenn es so aussieht. Zu Beginn malt sie im Freien vor dem Haus, auch wenn es windig und kühl ist, später wird es im Haus überarbeitet. Fliessend, aber auch rau will sie es haben, malt mit groben und feinen Pinseln – und ausserordentlicher Farbkultur. Leitgedanke dabei: Was nehme ich mit, wenn ich diese Landschaft sehe und erlebe? Also innere Eindrücke, daraus ergibt sich später Landschaftsartiges – Berge, Steine, Vegetation – etwas was sie selber überrascht. Wasser oder Felsen? Das Gemeinsame von Felsen und Wasser. Fels der aus dem Wasser entstand. Und Lichtartiges, indirektes Licht. Sie meint, «der Berg schläft am Morgen, und dann kommt das Licht dazu.» Morgenlicht und Abendlicht, wenn die vereisten Hänge so schön türkis grün oder seegrün leuchten.
Mir scheint, es sind lichthaltige Kostbarkeiten auf Algenpapier – kraftvoll und subtil zugleich. Etwa wie im Lied «Frisch wie der Tau, offen wie eine Blume, stark wie ein Berg, fest wie die Erde.»
Christine Bänningers künstlerischer Prozess erinnert mich an Paula Modersohn-Becker, die in ihrem Tagebuch notiert: «Ich glaube, man müsste beim Bildermalen gar nicht so sehr an die Natur denken, wenigstens nicht bei der Konzeption des Bildes. Die Farbskizze ganz so machen, wie man einst etwas in der Natur empfunden hat. Meine persönliche Empfindung ist die Hauptsache. Wenn ich die erst festgelegt habe, klar in Form und Farbe, dann muss ich von der Natur das hineinbringen, wodurch mein Bild natürlich wirkt, dass ein Laie gar nicht anders glaubt, als ich habe mein Bild vor der Natur gemalt.»
(Paula Modersohn-Becker ist mir besonders nah, weil ich in meiner Kindheit in Bremen mit Bildern von ihr im Haus aufgewachsen bin.)
Berge haben auch etwas Beängstigendes für Christine. Als Kind kletterte sie mit dem Vater auf 3000 Meter Höhe. Mit seinen fünf Kindern war er auf Gletschern unterwegs, Höhenangst hatte sie dabei, Hassliebe, aber die Faszination ist geblieben. Heute meint sie, doch besser fürs Wandern geeignet zu sein als zum Klettern.
Diese frühen Erfahrungen prägen ihre Arbeiten. «Denken wie ein Berg» ist der Titel einer früheren Serie. «Fühlen wie ein Berg» nennt sie es heute. Oder auch «Malen wie ein Berg».
Und dabei zugleich Wolken wegschieben, um den Berg besser sehen zu können. Auch innere Wolken wegschieben im Entstehungsprozess – Wolken des Alltäglichen, etwa aus dem Unterland.
Schwer und leicht zugleich wirken die kleinen Werke auf Algenpapier. Es geht der Malerin darum – «Wie kann man das Schwere leicht machen, wie kann man das Leichte schwer machen?» Eben Wasser und Berg «Mare e Montagne» zugleich gestalten? So kann es passieren, dass im Prozess des Arbeitens Statisches und Fliessendes miteinander zum Ausdruck kommen – Energien der Bergwelt statt Ansichten einzelner Bergen! Elementares kommt dabei heraus – im Grunde werden die Elemente Wasser, Feuer, Luft und Erde in ihrer Kraft, Wucht und Leichtigkeit spürbar.
Dem eigenen Prozess vertrauen – dem Malprozess und auch dem Lebensprozess – das ist ihr Konzept, das sie trägt: «Das Bild gut sein lassen, es stehen lassen. Es rechtzeitig loslassen, wenn es sie nicht mehr braucht.» Ein wichtiger schöner Satz!
In diesem Zusammenhang möchte ich an Louise Bourgeois erinnern. Auch sie ist überzeugt: «Das Unbewusste ist mein Freund. Ich vertraue dem Unbewussten.»
Und Helen Dahm formuliert in einem Gedicht: « Sein Ich erweitern und zugleich vor dem Werk zurücktreten immer mehr, das ist das Los, ist das Glück, ist die Not des schöpferischen Menschen.»
Und, um noch einmal auf Paula Modersohn-Becker zurückzukommen, wieder eine Notiz aus ihrem Tagebuch: «Denn ich werde noch was. Wie gross oder klein, das kann ich nicht sagen, aber es wird etwas in sich Geschlossenes. Dieses unentwegte Brausen dem Ziele zu, das ist das Schönste im Leben. Dem kommt nichts anderes gleich.»
Es zeigt sich, dass Christine Bänninger in einer Tradition von Künstlerinnen steht, wie Helen Dahm oder Paula Modersohn-Becker. Auch sie bezogen ihre eigenen Lebensenergien – sei es bewusst oder unbewusst – in den Prozess des Arbeitens ein. Und haben daraus die Energie ihrer Werke gewonnen.